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Jetzt im Kino: „Luise“ - oder: Darf ein Frauenpaar miteinander glücklich werden?

1918: Eine Bäuerin verliebt sich in eine Frau, aber auch ein Soldat kämpft um den Platz an ihrer Seite. Die Neuinterpretation des subtil lesbischen Literaturklassikers „The Fox“ lässt bangen: Bekommt das Frauenpaar diesmal ein Happy End? Ab 31.8. im Kino.

Salzgeber Hélène (Christa Theret, l.) und Luise (Luise Aschenbrenner)

Von Karin Schupp

30.8.2023 - Elsass, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs. Luise (Luise Aschenbrenner) hat gerade ihre Mutter verloren und steht alleine da, aber es hilft ja nichts: Die Arbeit auf ihrem kleinen, abgelegenen Bauernhof muss weitergehen. Da taucht plötzlich Hélène (Christa Théret) auf, verfolgt vom deutschen Soldaten Hermann (Leonard Kunz, „Loving Her“), der die Französin eigentlich festnehmen will, wegen Entfernung von seiner Truppe aber selbst als Deserteur gesucht wird.

Luise entscheidet sich kurzerhand, beide Fremden bei sich zu verstecken. Aber während Hélène so schnell wie möglich weiter will, ist Hermann offenbar gekommen, um zu bleiben. Anstatt sich jedoch den Platz als Mann an Luises Seite zu erobern, muss er – in dem Häuschen bleibt nichts verborgen - eifersüchtig miterleben, dass sie und Hélène sich einander annähern und schließlich eine sexuelle Beziehung beginnen.

Ungeahnte Gefühle für Hélène - ist das gegen Gottes Willen?

Hermanns religiös verbrämte Wutreden verunsichern Luise: Handelt sie wirklich gegen Gottes Willen und sollte lieber die Sicherheit einer Ehe wählen? Oder verlässt sie ihre Heimat und wandert mit Hélène, die in ihr ungeahnte Gefühle auslöst, nach Holland aus, wo es liberaler zugehen soll?

Gegensätzlicher könnten die beiden kaum sein: Hier der einfache, gläubige Soldat, der den konventionellen, vertrauten Weg bietet. Und dort die (für ihre Zeit erstaunlich selbstbewusste) Lesbe aus der Stadt, die Hosen besitzt, wehrhaft und freiheitsliebend ist. Und beide kommen – mehr Metapher geht nun wirklich nicht - aus verfeindeten Ländern und verstehen sich gegenseitig nicht. Einzig Luise, deren Muttersprache das Elässische ist, spricht sowohl Deutsch als auch Französisch.

„Uns interessierten vor allem das Erwachen und Erblühen der Liebe zwischen den beiden Frauen und die innere Zerrissenheit unserer Hauptfigur Luise“, erklärt der Regisseur und Drehbuchautor Matthias Luthardt in den Produktionsnotizen. Doch leider bleiben insbesondere die Liebe zwischen Luise und Hélène eher Behauptung, als dass wir sie miterleben können – da prickelt nichts. Die kammerspielhafte Inszenierung mit - leider nicht untypisch für deutsche Arthouse-Produktionen - hölzernen Dialogen hält auf Distanz, obwohl die Schauspieler:innen, allen voran Luise Aschenbrenner, ihr Bestes geben. Und dass nur wenig Zeit mit unterdrückten Gefühlen, Heimlichtuerei und Unausgesprochenem vertändelt wird, macht die Handlung zwar geradliniger, lässt aber wenig Raum für den Aufbau von Spannung und ihre Auflösung.

Positiveres Ende als in der Buchvorlage und der Verfilmung von 1967?

Eine Eskalation gibt es erst ganz zum Schluss, und wer die literarische Vorlage von D.H. Lawrence kennt, wird ein ungutes Gefühl haben: In seiner Novelle „The Fox“ (1923, dt. Titel: Der Fuchs), auf der das Drama lose basiert (und in der das Lesbische sehr subtil bleibt), wird die Rivalin des Mannes beim gemeinsamen Holzfällen von einem Ast erschlagen, worauf die andere Frau, die ihn zuvor abgewiesen hatte, ihn dennoch heiratet.

Derselbe tödliche Unfall passiert auch in The Fox (1967), einer kanadischen Verfilmung des Stoffs, der in der Gegenwart spielt. Dieser Film gilt als ein frühes Beispiel für die homophobe „Lesbian Death Trope“ (= Klischee der toten Lesbe), die dem Publikum vermittelt: Lesbische Beziehungen halten nicht, und lesbisch zu sein, kann nur tragisch enden.

Warner Bros.

Diese gefährliche Botschaft unterstützt heute wohl kein:e Regisseur:in mehr aktiv, und doch ging vor allem in TV-Serien, wo es plötzlich mehr Lesben gab, ihr Sterben weiter, meist weil man die Figur nach ihrer Coming-out-Story für „auserzählt“ hielt oder ihr Tod einen anderen Charakter emotional voranbringen sollte, wie es dann meist hieß. 

Ein Bewusstsein für die fahrlässige Tötung lesbischer Identifikationsfiguren entstand – zumindest in den USA – erst 2016 nach Fan-Protesten, als in der damaligen TV-Saison 30 lesbische und bisexuelle Charaktere sterben mussten. Seitdem gibt es weniger Todesfälle und wenn, dann gibt man sich Mühe, sie zu rechtfertigen. Und ja: es wäre schließlich weltfremd, wenn lesbische Charaktere unter keinen Umständen sterben dürften.

*** Spoiler-Warnung! ***

Für den Regisseur steht Luises Selbstermächtigung an erster Stelle

Es ist zu bezweifeln, dass sich Luthardt mit dieser Diskussion auseinander gesetzt hat, vielleicht kennt er sie (sträflicherweise!) nicht mal. Ihm geht es jedenfalls nicht ums lesbische Happy End, sondern um die Selbstermächtigung einer Frau und ihr Aufbrechen von Grenzen. Hermann und Hélène sind dabei nur Mittel zum Zweck und ihr Schicksal damit vernachlässigbar.

Er verzichtet zwar auf fallende Äste, erzählt aber einen noch drastischeren Schluss als in The Fox, aus dem Luise als alleinige Heldin hervorgeht. Kann man so machen, aber ausgerechnet von dieser Neuverfilmung hätte man sich gewünscht, dass der heftig umstrittene Stoff neu gedacht wird und damit eine filmhistorische Aussöhnung ermöglicht. Diese Gelegenheit hat Luthardt leider verpasst.

Luise, Frankreich/Deutschland 2023, Regie: Matthias Luthardt, Buch: Sebastian Bleyl/ Matthias Luthardt, inspiriert von „Der Fuchs“ von D.H. Lawrence, 95 Minuten, in deutscher, französischer und elsässischer Sprache, teilweise mit deutschen Untertiteln - Kinostart: 31.8.2023

 

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