Kinotipp „Besties“: Mehr als eine lesbische Romeo-und-Julia-Geschichte
In der Queerfilmnacht im Juni: „Besties“ erzählt eine Lovestory zwischen zwei jungen Frauen in einem Pariser Vorort, die zwei verfeindeten Banden angehören. Ein authentischer Film über eine migrantische Generation, die sich mit ihren Regeln selbst einengt
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Von Sabine Mahler
10.6.2023 - Besties ist vordergründig eine romantische, lesbische Version von Romeo und Julia, aber in Wirklichkeit geht es um sehr viel mehr. Die Lovestory ist schnell erzählt: Nedjma (Lina El Arabi) lebt in einem der Vororte von Paris, dort gehört sie zu einer festen Mädels-Gang.
In der Wohnung gegenüber zieht die wunderschöne (Esther Rollande) Zina mit ihrer Familie ein. Nedjma ist sofort hin und weg. Doch zeigen darf sie das auf gar keinen Fall, denn Zina ist die Cousine eines Mädchens aus einer verfeindeten Gang. Als sich Zina aus Versehen auch nur auf die „falsche“ Parkbank setzt, eskaliert die Situation schnell. Nedjma versucht das Schlimmste zu verhindern, doch schon gehen die Gangs im Revierkampf aufeinander los - bis das Blut spritzt.
Heimliche Liebe auf dem Hausdach
Die Liebe zwischen den beiden jungen Frauen lässt sich aber auch von so etwas nicht aufhalten, erst küssen sie sich heimlich im Treppenhaus, und dann treffen sie sich immer öfter auf dem Dach ihres Hauses. Nur dort können sie einfach sie selbst sein und ihre Romanze genießen.
Hinter dieser hinreißenden Liebesgeschichte steckt eine beeindruckende Sozialstudie der Regisseurin Marion Desseigne-Ravel, sie erzählt die Geschichten von Jugendlichen aus den Vororten von Paris, den sogenannten Banlieues.
Die Eltern sind Migranten, die Jugendlichen zwischen den vielen kulturellen Einflüssen und der eigenen Perspektivlosigkeit aufgerieben. Dazu gehört auch Nedjma. Sie ist cool, sogar sehr cool. Und diese Überlegenheit muss sie nach außen ausstrahlen, um auf der Straße zu überleben.
Gefühle sind in Nedjmas Welt nicht erlaubt
Es geht ihr nicht nur um ihre Verliebtheit in Zina, sondern um ihre gesamte Außenwirkung in einem Viertel, das keine Schwäche erlaubt. Nur die ganz besonders Harten überleben vermeintlich in so einer Welt, also kann sich Nedjma ihre Gefühle nicht erlauben – ganz generell nicht und erst recht nicht einer Frau gegenüber.
So versucht sie ihre Beziehung mit Zina zu verheimlichen, was natürlich irgendwann auffliegt. Und wie es Nedjma befürchtet hat, wird sie nun in ihrem Viertel „als Lesbe“ gemobbt und schikaniert. Für ihre Gang ist sie nicht mehr existent. Dieses Stück Realismus hat Desseigne-Ravel auch mit in dem Film genommen und so bleibt ein dramatisch-romantisches Julia-und-Julia Ende aus.
Zum Nachdenken regt auch die Figur der Mutter von Nedjma an: Sie erzählt ihrer Tochter, dass sie nach Paris gekommen ist, um in Freiheit leben zu können. Sie ist offen für die neue Kultur, doch da sie ihr fremd ist, kann sie diese nur schwer an ihre Tochter vermitteln. „Ich verstehe eure Generation nicht. Deine Tante und ich kamen wegen der Freiheit hier her. Algerien war zu eng. Und ihr schwört auf den Koran und überwacht euch.“
Die Stadt, die Kids, der Beton - alles wirkt so echt
Es ist eine Generation in den Banlieues entstanden, die nach Halt sucht und Sicherheit in konservativen Werten findet. Diesen Spannungsbogen hat Desseigne-Ravel mit der kleinen Nebenrolle großartig herausgearbeitet.
Genauso hat Desseigne-Ravel es geschafft, die moderne Welt der sozialen Medien im Alltag der Jugendlichen in den Film zu integrieren. Etwas, das andere Filme gerne beiseite lassen, da es filmisch schwer umzusetzen ist. So nicht hier: die Jugendlichen hängen den ganzen Tag am Handy und leben in den zwei Welten gleichzeitig. Und so zeigt Desseigne-Ravel auch, wie grausam diese Parallel-Welt für die Jugendlichen sein kann. Was dort passiert ist sehr real: Videos werden als Blow-Jobs inszeniert, sollen viral gehen und die betroffenen Personen auch in der echten Welt diskreditieren.
Insgesamt hat Desseigne-Ravel mit Besties ein absolut sehenswertes Debüt vorgelegt. Die Stadt, die Kids, der Beton, die immer arbeitende Mutter, alles wirkt so echt, genauso wie die unglaublich große erste Liebe zwischen zwei jungen Frauen, die sich derer nicht erwehren können.
Besties (F 2021), Buch/ Regie: Marion Desseigne Ravel, 80 min., mit Lina El Arabi, Esther Rollande u.a., französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln, im Juni in der Queerfilmnacht (Städte/ Termine), Kinostart: 29. Juni
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